Gott dienen im Geist und in der Wahrheit

Der Heilige Geist, der uns in alle Wahrheit einführt
Das Kirchenjahr kennt drei große Festkreise, in denen wir die Geheimnisse unserer Erlösung feiern und die von den Hauptfesten der Christenheit, nämlich Weihnachten, Ostern und Pfingsten, geprägt sind. Im Weihnachtsfestkreis geht es um das Kommen unseres Herrn und Heilandes und um die Menschwerdung des Sohnes Gottes in unserer Welt, im Osterfestkreis gedenken wir des heilbringenden Todes und der Auferstehung Jesu und die Zeit um Pfingsten und danach bis zum Ende des Kirchenjahres ist jener große Teil des Jahres, wo wir das Kommen des Heiligen Geistes und Sein Wirken in der Kirche bis zum Ende der Zeit feiern.
Dieser letzte Abschnitt stellt also die Epoche dar, in der wir auch selbst leben und die im Kirchenjahr auch den größten Teil einnimmt. Die Zeit nach Pfingsten und die Liturgie der entsprechenden Sonntage lassen vor unseren Augen die großen Gnadengaben sichtbar werden, die uns als in der Taufe neugeborenen Gotteskindern geschenkt wurden und die sich in der Kirche entfalten und in unserem Leben fruchtbar werden sollen.
Wir werden so von der heiligen Kirche immer wieder neu an unsere Berufung erinnert, unser Leben als Christen in der Liebe des Heiligen Geistes zu heiligen und uns so von Ihm auch innerlich erneuern zu lassen. Es ist also auch die Zeit, über unsere Berufung im Reiche Gottes nachzudenken, damit unser Leben immer mehr vom Heiligen Geist und Seiner Wahrheit bestimmt und geprägt werden kann.
Wir wissen: Nicht nur wir Christen, sondern jeder Mensch wird von diesem Anspruch der Wahrheit auch schon von der Natur seines geschöpflichen Wesens her als Ebenbild Gottes immer wieder neu herausgefordert. Der Mensch ist nämlich ein geistiges Wesen und deshalb immer auf Wahrheit, letztlich also auf Gott hin, bezogen. Aber dennoch kann die in Sünde gefallene und somit des übernatürlichen Lichtes beraubte Natur ohne die Hilfe des Heiligen Geistes die grundlegenden Wahrheiten des Lebens kaum mehr richtig erfassen und so auch nicht ohne Gnade ein übernatürlich geheiltes und geheiligtes Leben führen.
Das menschliche Leben bleibt zwar immer und auf vielen verschiedenen Ebenen ein geistiges Ringen um Wahrheit. Doch erst in der übernatürlichen Gnade, die uns Gott schenkt, findet dieses Ringen sein letztes Ziel und seine Erfüllung in Gott.
Der Geist des Menschen muss erst vom Heiligen Geist aus dem Dunkel der Sünde, in die wir mit Adam und Eva gefallen sind, herausgezogen, erneuert und übernatürlich erleuchtet werden. Nur dann können wir wieder wirklich klar sehen und so auch in diesem Licht der übernatürlichen Wahrheit lernen, vollkommen zu leben und zu lieben, so, wie es Gott ursprünglich für den Menschen vorgesehen hatte. Dies ist das neue Leben im Dienste Gottes, zu dem uns Christus beruft.
Die Frage nach dem wahren Leben und dem wahren Dienste Gottes stellt sich besonders auch heute, wo es so viele verschiedene und oft auch verwirrende „Angebote“ an Lebensentwürfen und an „Religionen“ gibt. Viele wählen und kombinieren da heute nach ihrem „Geschmack“ oder ihren (oft vielfach wechselnden und nicht wirklich vernünftig begründbaren) „Vorlieben“. Religion erscheint so heute vielen als eine willkürliche und selbst erfundene „Komposition“ zur Befriedigung persönlicher Bedürfnisse, als ein psychologischer Versuch, die Welt „selbstbewusst“ einem subjektiven Ordnungssystem zu unterwerfen.
Als Christen erkennen wir: Das ist nicht wirkliche „Religion“ im Sinne von re-ligio, also von „Rückbindung“ an Gott oder an die Wahrheit selbst, sondern ein Versuch von Selbsterlösung des Menschen, der im Grunde nur um sich selbst kreist und nichts anderes mehr kennt als sich selbst! Ein solcher Versuch kann nur scheitern, weil Liebe hier fehlt und der Mensch die eigene Begrenztheit und Sündhaftigkeit so nie überwindet!
Bis zum Kommen Jesu Christi war die Welt ganz in diese Finsternis versunken. Selbst das Alte Testament zeigt uns an vielen Stellen, wie weit sogar auch das Volk des Alten Bundes von einer Gott wohlgefälligen Haltung und von der tiefen Erkenntnis des Willens Gottes noch entfernt war. Es herrschte nur eine ganz grob erfasste Vorstellung von der Heiligkeit Gottes, weil durch die Sünde die Beziehung des Menschen zu Gott gestört war, die erst mit dem Kommen Jesu Christi und der Erlösung von der Sünde dem Menschen wieder in wahrer und heiliger Liebe möglich wurde.
Die Menschheit war vor der Erlösung so weit von der wahren Liebe Gottes und Seinen Geboten entfernt, dass die Zeit vor Christus in vielen Bereichen als recht roh, nämlich als Zeit harter Strafe und drängender Warnung vor weiterem Götzendienst erscheinen muss, der oft an die Stelle der Befolgung der Gebote Gottes getreten war.
Meist noch undeutlich und wie von ferne leuchteten aber auch im Alten Testament schon Verheißungen und Erwartungen einer kommenden Zeit der Gnade und der vollkommenen Erkenntnis Gottes und Seines heiligen Willens auf, einer neuen Zeit, die mit dem Kommen eines „Messias“, das heißt eines Gesalbten, anbrechen sollte. Dieser erwartete Retter sollte den Menschen den Weg aus Dunkelheit wieder zum Licht der Wahrheit und der vollkommenen Heiligkeit in Gott weisen und ebnen!
Die Heilige Schrift berichtet an vielen Stellen von Menschen, welche auf das Kommen des Reiches Gottes und auf den verheißenen Messias hofften. Sie kannten ihn zwar noch nicht, aber in der Begegnung mit Jesus wurden ihnen die Augen aufgetan. Auch im vierten Kapitel des Johannesevangeliums wird uns eine samaritanische, also nicht-jüdische Frau vorgestellt, die am Brunnen des Jakob in der Nähe der Stadt Sichar (Joh. 4,4ff.) Jesus trifft. und auch von dieser Erwartung Es zeigt sich, dass auch sie von dieser Erwartung eines kommenden Messias wusste und offenbar auch auf ihn wartete, wie übrigens viele fromme Heiden der damaligen Zeit auch, die oft von ähnlichen Fragen zum rechten Leben und zum richtigen Gottesdienst angetrieben „Erlösung“ suchten, sie aber aus menschlicher Kraft allein nicht finden konnten.
Samariter galten den Juden als nicht ganz rechtgläubig, hatten jene doch auf dem Berg Garizim einen eigenen Ort des Kultes, so dass sie nicht zum Tempel nach Jerusalem hinaufgingen, das etwa 50 km entfernt liegt. Außerdem anerkannten sie nur die ersten fünf Bücher der Bibel, als Schrift oder Gesetz Gottes und wollten von vielen Vorschriften und Überlieferungen der Juden nicht viel wissen.
Diese Abspaltung der Samariter vom Judentum ging damals schon Jahrhunderte zurück. Das ursprüngliche Reich Israel, das aus den zwölf Stämmen Jakobs bestand, hatte sich nämlich nach dem Tod des berühmten Königs Salomon (ca. 971 – 929), der den ersten Tempel in Jerusalem gebaut hatte, wegen der unklugen und wenig milden Art seines Sohnes Roboams (ca. 929 -917) in ein Nord- und ein Südreich gespalten, so dass dieser nur noch über seinen eigenen Stamm Juda sowie den Stamm Benjamin die Macht behielt, während die anderen Stämme sich von ihm abwandten und Jeroboam (ca. 929 – 909) zu ihrem König im Norden machten (vgl. 3 Kg. 12). Bald darauf hatte Jeroboam dann aber zwei goldene Kälber anfertigen und sie in Betel und Dan verehren lassen, damit die Menschen aus seinem Herrschaftsgebiet nicht mehr nach Jerusalem ins südliche Juda zum Tempelopfer ziehen sollten. Auch Höhenheiligtümer errichtete er und setzte dort Höhenpriester ein, was schließlich zum Untergang seines Hauses und am Ende auch dieses „Nord-Reiches“ führen sollte.
Juden verachteten deshalb diese „Ungläubigen“, die da nun in Samaria wohnten. Doch letztlich waren auch die Könige und das Volk von Juda Gott selten wirklich treu und ließen ebenfalls Götzendienst und Höhenheiligtümer, ja sogar religiöse Prostitution zu, wie sie die Heiden kannten, oder förderten solche abwegigen Praktiken gar (vgl. 3 Kg. 14,22ff.). So kam es nach dem Zeugnis des Alten Testaments schließlich auch zum Ende des Südreiches Juda, zur Deportation seiner Bewohner nach Babylon, was auch das (vorläufige) Ende des Tempels und des Tempelkultes in Jerusalem bedeutete. Das Volk, das Gott einst aus Ägypten herausgeführt und mit dem Er einen Bund geschlossen hatte, damit es in einer neuen Heimat den Götzendienst überwinde und beende, hat so immer wieder die Treue gebrochen. Sogar Salomo, der als König den prächtigen Tempel in Jerusalem erbauen hatte lassen und dem wegen seiner Gottesliebe deswegen auch legendäre Weisheit zuteil wurde, hatte gegen Ende seines Lebens für seine ausländischen Frauen Götzenheiligtümer errichtet (3 Kg. 11,2ff.).
Die Heiligen Schriften des Alten Bundes zeichnen so ein sehr beschämendes, aber wohl auch realistisches Bild des einst mit vielen Gnaden bedachten Volkes: Immer wieder war ein großer Teil von Gott, der es in feierlichem Bundesschluss zu Seinem Volk berufen hatte, abgefallen. Der Prophet Elias beklagt einmal sogar, dass scheinbar nur er allein übriggeblieben sei, während ganz Israel den Bund mit Gott verlassen hatte (vgl. 3Kg. 19, 10). Auch der heilige Paulus weist im Hinblick auf den Neuen Bund darauf hin, dass auch schon im Alten Bund teils nur noch ein ganz kleiner Rest von 7000 Männern übrig war, „die ihr Knie vor Baal nicht gebeugt haben“ (Röm. 11,4; vgl. 3Kg. 19,18).
Es dauerte Jahrhunderte, bis diese heidnischen Kulte und die Anhänglichkeiten an heidnische Gottheiten im Volk Israel überwunden werden konnten. Erst das gewaltsame Ende des Tempelkultes durch die Wegführung der Bewohner von Juda und Jerusalem nach Babylon brachte eine gewisse Neubesinnung, die dann mit der Genehmigung der Rückkehr ab 538 v. Chr. durch den Perserkönig Cyros und mit dem Wiederaufbau des Tempels in Jerusalem, der 515 eingeweiht werden konnte, auch eine neue Wertschätzung des Bundes mit dem Gott Israels mit sich brachte. Die Spaltung zwischen Juda und den anderen Stämmen im Norden konnte aber nie mehr geheilt und überwunden werden.
Die neue „Frömmigkeit“ führte auch zu einer bewussten Abgrenzung, die sich in der Vermeidung des Kontakts mit Samaritern, die ja nur einen Teil der Bücher der Juden kannten und sich einen eigenen Ort der Gottesverehrung erwählt hatten, zeigte. Im Laufe der Zeit verachteten die „frommen“ Schriftgelehrten schließlich sogar auch das eigene und allgemeine jüdische Volk, „das vom Gesetz nichts versteht“ (vgl. Joh. 7,49).
Wie schwierig das Verhältnis zwischen Juden und Samaritern war, erkennen wir es auch an anderen Stellen des Neuen Testaments, beispielsweise da, wo einmal die Jünger Jesu gleich „Feuer vom Himmel“ auf einen Ort der Samariter herabrufen wollen, als die Bewohner dort ihnen und der Gefolgschaft Jesu keine Übernachtungsmöglichkeit anbieten wollten, „weil“ sie „auf dem Weg nach Jerusalem“ waren (vgl. Lk. 9,53f.).
Jesus übernimmt diese herrschende Feindseligkeit nicht, sondern macht Seine Sendung als Heiland und Retter klar, indem Er betont, dass Er nicht dazu gekommen ist, Menschen zu verderben, sondern sie zum Heil und zur Rettung zu berufen (vgl. Lk. 9,55).
Auch die Samariterin am Brunnen wundert sich sofort, als Jesus sie um einen Schluck Wasser bittet und sagt: „Wie? Du, ein Jude, bittest mich, eine Samariterin, um einen Trunk?“ (Joh. 4,9). Und Jesus verheißt ihr sogleich eine Gegengabe, die viel größer ist, als das, was sie geben kann: „Wenn du die Gabe Gottes kenntest und den, der zu dir sagt: ‚Gib mir zu trinken!‘, so hättest du ihn gebeten, und Er hätte dir lebendiges Wasser gegeben!“ (Joh. 4,10).
Diese geheimnisvolle Rede lockt die Frau aus der Reserve. Sie weiß nicht, wie sie sie verstehen soll, da ja nirgends eine Quelle mit „lebendigem“ Wasser zu sehen war. Und so weist sie darauf hin, dass sie das nicht ernst nehmen könne, da Jesus ja nicht einmal ein Schöpfgefäß dabei habe (Joh. 4,11).
Jesus antwortet nun noch geheimnisvoller und deutet so darauf hin, dass sie neu denken lernen muss, um Seine Rede verstehen zu können: „Wer … von dem Wasser trinkt, das ich ihm gebe, den wird in Ewigkeit nicht mehr dürsten. Vielmehr wird das Wasser, das ich ihm gebe, in ihm zu einer Quelle Wassers, das fortströmt in ewiges Leben“ (Joh. 4,14).
Jesus deutet an, dass es bei dem Wasser, das Er gibt, nicht um das irdische Leben und somit auch nicht um physisches Wasser geht. An einer anderen Stelle, da Jesus ähnliche Worte vom Strömen „lebendigen Wassers“ später beim Lauhüttenfest spricht (vgl. Joh. 7,38), schreibt der Evangelist: „Damit meinte Er den Geist, den jene empfangen sollten, die an Ihn glauben“ (Joh. 7,39). Der Heilige Geist wirkt nach Jesus also wie lebensspendendes Wassers, welches „das, was dürre steht“, tränkt, wie es die Pfingstsequenz ausdrückt.
Es ist die Frage nach dem Gott wollgefälligen Gottesdienst sowie die Frage nach dem von Ihm erwarteten Lebenswandel, um welche die Unterhaltung am Brunnen dann plötzlich kreist. Die Frau nimmt den feinen Hinweis Jesu, dass sie eigentlich in einer Gott nicht wohlgefälligen, nur scheinehelichen Verbindung lebt, nicht zum Anlass, sich gekränkt oder verbittert zu verschließen oder gar von Jesus abzuwenden, sondern als befreiendes Angebot, weiter nach der Wahrheit für ihr Leben zu suchen und zu fragen. Das Erstaunen darüber, was der Mann, den sie für einen Fremden gehalten hat, alles über sie weiß, wird in ihr zu einer Frage nach Höherem: Ob er vielleicht ein Prophet ist?
Und so legt sie ihm eine Frage vor, die sie offenbar immer schon beschäftigt hat: „Herr, ich sehe, Du bist ein Prophet. Unsere Väter haben auf dem Berge dort Gott angebetet, doch ihr sagt, in Jerusalem sei die Stätte, wo man Ihn anbeten müsse“ (Joh. 4,20). Kann jemand besser als sie mit dieser Frage offenbaren, dass das Herz nicht nur auf Irdisches, sondern auf den Himmel hin ausgerichtet ist? Dadurch, dass sie das Gespräch gleich auf Fragen nach dem wahren Gott und der wahren Verehrung Gottes lenkt, zeigt sie, dass sie in ihrer Seele trotz ihrer äußerlich als „gottfern“ erscheinenden Lebenssituation an der Wahrheit und an der Heilung, also auch der Heiligung ihres Lebens, interessiert ist.
Und Jesus antwortet ihr mit dem prophetischen Wort: „Glaube mir, Frau, die Stunde kommt, da ihr weder auf dem Berge dort noch in Jerusalem allein den Vater anbeten werdet. Ihr betet an, was ihr nicht kennt; wir beten an, was wir kennen; denn das Heil kommt von den Juden. Aber es kommt die Stunde, und jetzt ist sie da, in der die wahren Anbeter den Vater anbeten in Geist und Wahrheit; denn solche Anbeter will der Vater haben. Gott ist Geist, und die Ihn anbeten, müssen anbeten in Geist und Wahrheit“ (Joh. 4,21ff.).
Auffallend ist, wie Jesus hier Gott als „Vater“ vorstellt, der im (Heiligen) Geist und in der Wahrheit angebetet werden will! Gott offenbart, dass Er uns trotz aller Erhabenheit nicht als „Fremder“ gegenübertritt, der unpersönliche Kulthandlungen verlangt, wie sie die Heiden oft aus Furcht vor ihren Göttern verrichten.
Wahre Anbetung Gottes hat immer mit der Liebe zu tun, damit schließt sie auch notwendig die Liebe zur Wahrheit ein und setzt sie voraus! Da Gott selbst die Wahrheit ist, hat Er auch uns als Vernunftwesen berufen, die Wahrheit zu suchen und sittlich aus und in der Wahrheit zu leben! Wahre Religion und wahre Gottesbeziehung bedeutet also nicht Unvernunft, sondern ein immer tieferes Erkennen der Güte und Heiligkeit Gottes, der wir auch unser Herz weit öffnen sollen! Gott ist Geist und hat auch uns als Geistwesen berufen, uns der Liebe Seines Heiligen Geistes immer mehr erfüllen zu lassen!
Die Begegnung zwischen Jesus und der Samariterin beginnt also wegen der zeitgenössischen Vorbehalte eher zurückhaltend und vorsichtig, gelangt aber durch die Worte Jesu sehr schnell zu einem Austausch um die eigentlichen und wichtigsten Fragen des menschlichen Lebens, und mündet schließlich in ein frucht- und gnadenbringendes Gespräch, das trotz seines Ernstes und der Unterschiede in den Auffassungen nicht in ablehnender Heftigkeit geführt wird, sondern sogar eher von sehr vornehmem und feinem Humor gezeichnet ist. Jesus verkündet behutsam und ohne Aufdringlichkeit, wo der Mensch das Heil finden kann und wer Er selbst ist, den die Frau noch nicht kennt und den sie deshalb zunächst einfach einen „Juden“ genannt hat. Aber auch die Frau selbst antwortet nicht bitter, sondern interessiert auf diese Worte des Anrufs der Gnade.
Jesus weiß um die praktischen Schwierigkeiten einer in Sünde versunkenen Welt und der Seelen in ihr. Er anerkennt auch, dass die Samariter als Nachfahren der Stämme Israels die Offenbarung des Alten Testaments nicht direkt ablehnen, aber dass sie eben wegen ihrer Abkehr vom überlieferten Kult in Jerusalem auch die wahre Kenntnis Gottes verloren haben. Bis heute leben übrigens noch einige Hundert „Samaritaner“ in Israel, die sich auf eigene Überlieferungen berufen und von den Juden nicht wirklich als Juden, von den Palästinensern aber auch nicht einfach als ihresgleichen angesehen werden und denen deshalb im Staat Israel eine Art von kuriosem Zwischenstatus gewährt wurde, indem ihnen der gleichzeitige Besitz der israelischen wie auch die palästinensischen Staatsbürgerschaft zugestanden wird.
Jesus verkündet hier aber nicht eine einschlussweise oder unterschiedslose „Billigung“ von falschen Kulten, sondern Er geht sehr rücksichtsvoll darauf ein, dass die Samariter nicht einfachhin heidnische Götter verehren, sondern ebenfalls den Bund mit Gott und die ersten fünf Bücher Moses als wesentlich für ihren Gottesglauben anerkennen. Gleichzeitig erinnert Jesus aber daran, dass nur in der Treue zur wahren Offenbarung Gottes auch eine wahre Kenntnis und Erkenntnis Gottes und Seines heiligen Willens möglich ist. „Ihr betet an, was ihr nicht kennt; wir beten an, was wir kennen; denn das Heil kommt von den Juden“ (Joh. 4,22).
Deutlich identifiziert sich Jesus in Seiner Menschheit als Glied des auserwählten Volkes, als dessen Messias Er sich am Ende des Gesprächs auch zu erkennen gibt (vgl. Joh. 4,26). Jesus verschließt sich nicht der Schwierigkeit und Not, in welcher Menschen leben, wenn sie Gott suchen, aber Seine wahre Offenbarung noch nicht kennen. Sie folgen zwar der natürlichen Offenbarung Gottes, die jedem Menschen als Vernunftwesen ins Herz geschrieben ist, wie es auch Paulus im Römerbrief beschreibt, wenn er sagt, dass der Wille Gottes, „der Kern des Gesetzes“ (der in der Liebe besteht, wie es Jesus, aber auch viele damalige jüdische Gesetzeslehrer im Gespräch mit Ihm immer wieder hervorheben) „in ihr Herz geschrieben ist“, was ihnen auch „ihr Gewissen bezeugt“ (Röm. 2,14).
Weil Gott uns Sich und Seinen heiligen Willen in heiliger Wirklichkeit und Lebendigkeit offenbaren wollte, darum ist Er unter uns hier auf Erden als Mensch und insofern auch als unser Bruder erschienen, damit wir im Heiligen Geist, an dem uns Jesus durch Sein Opfer Anteil schenkt, wieder wahrhaft Kinder Gottes werden und sein können, was ja nur möglich ist, wenn wir von der Sünde befreit wieder im Heiligen Geist rufen können „Abba, Vater!“ (vgl. Röm. 8,15; Gal. 4,6). Und so berichtet der heilige Paulus auch in seiner Ansprache vor den Männern von Athen, wie er in ihrer Stadt einen Tempel für einen „unbekannten Gott“ gefunden habe (Apg. 17,23), aber er betont auch, dass es wichtig ist, nicht in dieser Ungewissheit und Unkenntnis stehen zu bleiben, sondern sich der Gnade des wahren Gottes zu öffnen und Sein Evangelium anzunehmen: „Was ihr da verehrt, ohne es zu kennen, das verkündige ich euch. Gott, der die Welt und alles in ihr geschaffen hat, der wohnt als der Herr des Himmels und der Erde nicht in Tempeln, die von Menschenhand erbaut sind… Nun, Gott hat über die Zeiten, da man Ihn nicht kannte, hinweggesehen. Jetzt aber lässt Er den Menschen kundtun, sie sollen alle und überall sich bekehren. Denn Er hat einen Tag bestimmt, an dem Er die Welt in Gerechtigkeit richten wird durch einen Mann, den Er dazu bestellt und durch die Auferstehung von den Toten bei allen beglaubigt hat“ (vgl. Apg. 17,31).
Paulus lässt die Heiden also nicht bei dieser Verehrung eines ihnen unbekannten Gottes zurück, wie es heute so manche „Christen“ oder gar „Kirchenmänner“ mit Berufung auf diese Stelle tun wollen, indem sie meinen, man könnte es ja mit dieser natürlichen Erkenntnis von „Wahrheit“ oder von „Gott“ bewenden lassen. Die menschliche Vernunft und das Herz, das wirklich liebt, wird sich nie mit einer unvollkommenen Erkenntnis oder sonst einer Unvollkommenheit zufrieden geben können, sondern die Offenbarung und die Verkündigung der Wahrheit suchen.
Und so wird auch der, welcher wahrhaft erkannt hat und wahrhaft liebt, die vollkommene Erkenntnis der übernatürlichen Offenbarung Gottes den Mitmenschen gegenüber nie vorenthalten wollen oder können. Die Offenbarung der Liebe Gottes ist ein Geschenk, das nur im (Mit)Teilen dieser Liebe wirklich erfasst und bewahrt werden kann.
Der Verzicht auf „Mission“ oder das Verheimlichen der Frohbotschaft gegenüber den Menschen, welche diese Offenbarung Gottes noch nicht kennen, ist also für den wahren Jünger Christi nicht möglich. Hinter einer solchen Haltung der „Gleich-Gültigkeit“ verbirgt sich ein verkehrtes Gottesbild, nämlich das eines Gottes, dem an einer wahren Beziehung zu Seinen Geschöpfen nichts liegt! Jesus hingegen hat sich uns geschenkt, damit dieses Sein Geschenk auch in uns reiche Früchte des Teilens und der Liebe hervorbringen kann!
Die Liebe, an welcher wir durch die Erlösung von der Sünde Anteil erhalten haben, ist christlich gesprochen nicht einfach irgendein unpersönliches Geschenk, sondern sie ist Gott selbst. Es ist der Heilige Geist, die dritte göttliche Person, die Jesus in unsere Herzen sendet und die seither ausgegossen ist in jedem Getauften und Gefirmten. „Die Liebe Gottes ist in unsere Herzen ausgegossen durch den Heiligen Geist, der uns verliehen wurde“ (Röm. 5,5)!
Was Paulus also betont, entspricht der Forderung, die auch Jesus an den Menschen stellt: Gottesdienst ist in wahrer und vollkommener Weise nur in der Liebe des Heiligen Geistes möglich, die besonders bei der Teilnahme an der Erneuerung des Kreuzesopfers Christi im Messopfer in unsere Herzen ausgegossen wird und dort auch wirksam werden soll! Als Glieder Seines mystischen Leibes, der Kirche, vereinigen wir uns hier mit Christus und Seinem Opfer durch unsere liebende Selbsthingabe an Gott. Christlich betrachtet ist wahrer Gottesdienst also nie ohne dieses Opfer denkbar und wahrer Gottesdienst ist deshalb notwendig immer eine Vereinigung mit dem Opfer Christi, das Er aus Liebe für uns dem Vater dargebracht hat, damit auch wir wieder Anteil an der wahren Liebe Gottes erlangen mögen. So sehr hat Gott die Welt geliebt, dass Er Seines eigenen Sohnes nicht geschont hat (vgl. Joh. 3,16; Röm. 8,32), damit auch wir fähig werden, wieder zu lieben und so am ewigen Leben in Gott wieder teilhaben zu können!
Wer das heilige Messopfer abschaffen will, wie es Jesus Seiner Kirche hinterlassen hat, der trennt die Menschen von dieser Möglichkeit, Gott so in Liebe zu verehren, wie Er verehrt werden will und von uns auch verehrt werden soll, damit unsere Herzen in Wahrheit und in Liebe umgestaltet werden und an Seinem Leben Anteil erhalten können.
Jesus weiß um die Unvollkommenheit aller menschlichen Opfer, die nach dem Sündenfall dargebracht wurden, um die Verletzung der Liebe Gottes wieder „auszugleichen“ oder um Gott uns gegenüber die Strafen für unsere Sünden wieder wegnehmen zu lassen.
Der Mensch, der die Liebe verletzt hat, kann aber aus sich die böse Tat oder Haltung durch bloß eigenes Tun nie wieder ungeschehen machen. Es braucht die Liebe Gottes, die sich zu uns in Jesus Christus, unserem Heiland und Erlöser, niedergeneigt hat, um uns wieder an Sein „Herz“ zu nehmen. Es ist dieses Herz Gottes, das von der Kirche in der Herz-Jesu-Verehrung einen besonderen Platz gefunden hat.
Jesus hat in Seinem Kommen und in Seiner Hingabe für uns am Kreuz hier auf der Erde, welche durch die Sünde ein Ort des Todes und der Finsternis geworden war, die Liebe Seines Herzens geoffenbart.
Mit diesem Herzen voller Liebe wendet sich Jesus jedem Menschen zu. In der Erkenntnis der wahren und unermesslichen Liebe Gottes, die sich für uns dahingibt, erkennt jeder Mensch aber auch den Abgrund der Bosheit und der Unvollkommenheit, die ohne diese Liebe Gottes in unseren Herzen durch die Erbsünde wirksam war. Weil Gott um diese unsere Finsternis weiß, betont Jesus immer wieder, dass Er nicht gekommen ist, Gerechte zu berufen, sondern Sünder (Mk. 2,17).
Der Mensch muss sich dieser Wahrheit stellen, sonst bleibt er einer wahren Umkehr unfähig und so auch fern von Gott und Seiner Einladung zur Liebe. Wer meint, schon vollkommen zu sein ohne Gott, der verharrt in der Unwahrheit und der Unwahrhaftigkeit der Sünde, die durch Adam und Eva in diese Welt gekommen ist.
So ist das Kommen Gottes immer auch ein Ruf zur Umkehr. Die Worte Jesu machen auch die Frau am Brunnen fähig, ihr bisheriges Leben vor dem Spiegel der Wahrheit neu zu erkennen und sie zu einer ungeahnten Offenheit für ein neues Leben in der Erkenntnis der Wahrheit und der Liebe Gottes zu bewegen.
Sie ist so ergriffen von der Begegnung mit Jesus, dass sie alles stehen und liegen lässt und in die Stadt läuft, um auch anderen von dem Licht, das in ihrem Herzen aufgegangen und zu leuchten begonnen hat, zu künden. „Er hat mir alles gesagt!“ (Joh. 4,40)-
Jesus hat ihr zwar bezeugt, dass sie in Samaria Gott ohne wirkliche Erkenntnis anbeten und dass das Heil von den Juden komme, ja dass auch dort nur Gotteserkenntnis möglich ist, wo sich Gott selbst geoffenbart hat.
Mit dem Kommen des Messias hat nun aber eine neue Zeit begonnen. Auch die Offenbarung Gottes im Alten Testament war erst eine anfängliche und noch sehr unvollkommen. Und es dauerte hunderte, ja tausende Jahre, bis der Mensch wieder langsam dorthin zurückgeführt werden konnte, wo das Herz für die vollkommene Offenbarung der Liebe Gottes wieder bereit und offen genug werden konnte.
Die bloß vom Menschen dargebrachten Opfer neigen sich ihrem Ende zu, da sie, wenn auch von Gott angesehen und teils angeordnet, nicht die Kraft haben, die Herzen der Menschen zu erneuern oder „zur Vollkommenheit zu führen“ (Hebr. 10,1).
Jesus sagt der Frau also voraus, dass nicht nur in Samaria, sondern auch in Jerusalem diese noch unvollkommenen Opfer bald ein Ende finden sollen. Diese Erwartung einer Erneuerung des Opferkultes und damit des Kommens eines neuen, vollkommenen Bundes mit der Ankunft des Messias war im Alten Testament schon lange vorausgesagt. Wie ein neues Opfer erwartet wurde (vgl. Mal. 1,10.11), so sollte auch der Neue Bund durch eine Erneuerung der Herzen, die der Geist Gottes wirkt, in Erscheinung treten (Jer.31,31). „Dann sprenge ich reines Wasser über euch, damit ihr gereinigt werdet; von euren Unreinheiten und von all euren Götzen will ich euch reinigen! Ich will euch geben ein neues Herz und lege neuen Geist in eure Brust; ich entferne das Herz aus Stein aus eurem Leib und gebe euch ein Herz aus Fleisch. Meinen Geist lege ich in eure Brust und bewirke, dass ihr nach meinen Satzungen wandelt, meine Gesetze beobachtet und erfüllt!“ (Ez. 36,25ff.). Darauf zielte auch schon die Bußpredigt des heiligen Johannes des Täufers ab, der damit die Menschen auf das Kommen des Messias und für das Wirken des Geistes Gottes durch Ihn vorbereiten wollte.
Mit der Kirche haben wir an Pfingsten die Vollendung aller Geheimnisse des Wirkens Christi hier auf Erden gefeiert. Die Himmelfahrt Christi war also kein „Ende“, so dass sich Gott wieder von dieser Welt „verabschiedet“ hätte und sie nun wieder ihre eigenen Wege gehen lässt. Auf die Himmelfahrt folgt nämlich die Ausgießung des Heiligen Geistes in die Herzen der Jünger, auf die vorzubereiten Jesus ihnen geboten hatte.
Wir leben seit Pfingsten und seit dieser Ankunft des Heiligen Geistes also in dieser schon lange verheißenen neuen Zeit, in der dieser Geist und Sein Licht der Wahrheit in den Herzen der Erlösten Sein Wirken entfaltet! Die Mächte der Finsternis und der Sünde haben durch Jesus Christus ihre Kraft über den Menschen, der sich der Gnade Gottes und dem Glauben an Jesus Christus öffnet, verloren. Mit der Taufe und der Annahme des Glaubens wurde uns auch die wahre Hoffnung und Liebe und damit verbunden die wahre Gemeinschaft mit Gott neue geschenkt und ermöglicht!
Und so bereitet Jesus die Frau am Brunnen auf dieses Kommen der Gnade Gottes im Neuen Bund vor, indem Er ihr bezeugt, dass eine Zeit kommen werde, in der Gott nicht mehr nur äußerlich in bloß menschlichen oder äußerlichen Kulthandlungen verehrt werden wird, sondern in einem neuen Kult der Gottesverehrung, der im Geschenk von Gottes Geist und somit in der Wahrheit auch mit der innerlichen Hingabe und Vereinigung mit Christus vollzogen werden soll und wird.
Der Jubel, den das Wort Christi im Herzen der Frau ausgelöst hat, erfasst jede Seele, die sich dieser Frohbotschaft des Wirkens Gottes in unseren Herzen öffnet. Der Mensch wird vom Geist Gottes, der immer der Geist der Wahrheit und des Friedens ist, umgestaltet und beginnt selbst in diesem Geist der Wahrheit in der Welt zu wirken.
Im Heiligen Geist sollen und wollen auch wir nun nicht nur durch das Kirchenjahr, sondern durch unser ganzes Leben gehen. Wer Gott dienen will, muss Ihm „im Geist und in der Wahrheit“ (Joh. 4,23f.) dienen. Wir sollen unsere Herzen dem Heiligen Geist öffnen, der uns „in alle Wahrheit einführt“ (Joh. 16,13), damit so unser ganzes Leben zu einem frohen und fruchtbaren Zeugnis der Wahrheit und der Liebe Gottes werden kann.
Maria und alle Heiligen ließen sich vom Heiligen Geist verwandeln und ihr Leben von Ihm bestimmen, so dass es reiche Frucht der Heiligkeit hervorbringen kann. Verschließen auch wir diesen Schatz des Heiligen Geistes, der uns geschenkt wurde, nicht in unserem Herzen, sondern lassen auch wir ihn strömen, damit durch uns auch andere Sein Licht erkennen und damit so Sein Leben und Seine Liebe auch in ihnen fruchtbar werden kann.
Aus den Worten Jesu erkennen wir, dass es nicht gleichgültig ist, wie jemand „Gott“ verehrt, sondern dass der wahre Gottesdienst nur vollzogen werden kann im Heiligen Geist und in der Wahrheit, das heißt in der Treue zur Offenbarung Gottes und zur Überlieferung der Kirche, die diesen Schatz, der ihr im Heiligen Geist geschenkt wurde, bewahrt und durch die Jahrhunderte weitergibt.
Nur so ist das wahre Leben, das Gott uns schenken will, zu finden, nur so können wir auch Gott und Seinen Heiligen Willen im Heiligen Geist und in der Wahrheit bezeugen, nur so können und werden auch andere das Licht des Heiligen Geistes und der Gnade Gottes, die uns in Christus erschienen ist (vgl. Tit. 2,11), erkennen und in ihrem Leben wirksam werden lassen, nur so lebt auch die Kirche Jesu Christi hier auf Erden bis ans Ende der Zeit, bis uns einst das ewige Leben geschenkt wird – in der überströmenden und unendlich sich vervollkommnenden Erkenntnis der Wahrheit der Dreieinigkeit Gottes in der Liebe des Heiligen Geistes, der die Liebe des Vaters zum Sohn und des Sohnes zum Vater selbst ist!

Thomas Ehrenberger

 

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